Rezension: Kraftvolles Theater auf höchstem Niveau
Theater Köln-Süd brilliert mit seinem Jahreswerk
Der „Sommernachtstraum“. Ein klassisches Meisterstück der Theaterkunst aus der Feder Shakespeares. Drei ineinander greifende Haupthandlungsstränge, vier Liebespaare, eine handvoll Probleme rund um Liebe und Hass, gesellschaftliche Konventionen und natürliche Triebe – und die üblichen Meinungsverschiedenheiten. Durch Zauberkraft sind die Protagonisten eine Nacht lang in ungewohnt neue Beziehungen zueinander gesetzt. Für den Zuschauer amüsant – für die Figuren verwirrend bis dramatisch. Beim Erwachen am Morgen herrscht neue Ordnung. Es bleibt die Frage: War das alles nur ein Traum, unwirklich? Doch wie unwirklich kann etwas sein, dass offensichtlich so viel Wirkung hat, Dinge zu ordnen? Wo beginnt und wo endet die Wirklichkeit – und wo der Traum? Gut inszeniert ein fantastisches Spektakel. Und genau das ist dieses Stück beim Theater Köln-Süd: fantastisch gut inszeniert.
Der Zuschauer betritt den Raum durch einen Teil des Bühnenbildes. Ist die Tribüne am Ende sogar nur ein Teil vom Bühnenbild? Zwei Personen, von denen nicht ganz klar ist, ob sie noch Teil der eigenen Realität oder schon Teil des Schauspiels sind, rollen den Eingangsteppich auf. Das Traum-Wirklichkeits-Thema wird so von Anfang an aufgegriffen. Die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit sind bereits verschwommen. Das Bühnenbild selbst: ein schlichter Raum, ganz in weiß. Eine unscheinbare Schräge. Bis auf ein paar von der Decke hängende Schals und Etwas in der Ecke keine Aufbauten. Erste Zweifel: Wird das wieder so eine abstrakte Inszenierung, die sich als stilistische Mittel der Wahl fast nur auf komplizierte Verbalika und Positionierung der Charaktere zueinander im Raum beschränkt – und die eher langatmig und für die eigene Vorstellungskraft bisweilen nur anstrengend ist? Oder gar wieder so eine moderne, die die neuen Medien als Stilmittel völlig überreizt und mit Video, Ton und Musik nur so um sich schießt – und einem keine Zeit lässt zum Atmen? Weder noch und weit gefehlt! Stattdessen wird der Zuschauer mit spielerischer Leichtigkeit gefesselt und in den bis zum Schluss dramatisch bleibenden und zugleich herzerfrischende Handlungsverlauf gesogen. Dabei wird vor ihm die gesamte Bandbreite der dem Darstellenden Spiel zur Verfügung stehenden Stilmittel ausgelegt – wohl aufeinander abgestimmt und ohne in einem grauen Allerlei eines bloßen „Von-Diesem-und-von-Jenem-etwas“ zu versinken. Stattdessen: Kräftig und klar jedes Ausdrucksmittel für sich! Kräftig und klar bleibend alle zusammen – ohne im Ganzen zu übersteuern. Der vormals leere Raum wird belebt: Statische Videoprojektionen von schlichten Strukturen werfen keine bloßen Bilder an die Wände – sie verwandeln den Raum überraschend wirkungsvoll in ganz andere Welten. Es stellt sich keine Frage, ob dies wirklich eine Stadt sei oder dies der Dschungel. Das Licht und seine Wechsel sowie gewählt starke Farben unterstützen die Handlung ebenwie sie sie vorantragen. Nicht nur beim Auftakt gewaltig, orchestral: die eigens für die Inszenierung komponierte Musik. Diese hebt, im Stück wohldosiert verwendet, bestimmte Ereignisse besonders hervor – und schafft Momente von Hollywoodkinoatmosphäre. Gäbe es den Soundtrack zum Stück zu kaufen, erginge hier eine klare Empfehlung.
Die Leistungen der Darsteller, plastische Charaktere zu erschaffen, brauchen sich hinter denen von Profis nicht zu verstecken: Lebendige und dem Bühnenspiel entsprechende, ausdrucksstarke Mimik, einfallsreiche Gestik, klares und sendungsstarkes Sprechen, stimmige Lautmalerei und dynamische Interaktion untereinander. Besonders zu bemerken gilt: Interaktion findet auch abseits des Hauptgeschehens statt – ohne dieses jedoch in irgendeiner Weise zu stören. Das trägt stark zur realistischen Wirkung des Gesamtgeschehens bei, so dass man sich bisweilen fragen kann: Wurde das einstudiert oder improvisieren die alle gerade? Ein Lob an die Choreografie. Gut choreografiert sind auch die wohlplatzierten tänzerischen Einlagen. Und auch gesangsmusikalisch gibt es was zu erleben: Von durch Playback unterstütztes Singen Einzelner bis zu mehrstimmigem A-capella aller sechzehn Darsteller reicht die Bandbreite. Kostüm und Maske bestechen durch Klarheit gebende Schlichtheit – besonders bei den Handwerkern -, gepaart mit ausgewählten, fantasievollen Details – wie die schlichte Wurzelkrone des Oberon auf seinem mit Goldstaub verziertem Haupt oder eine witzige, ballonartige Ausbuchtung des Körpers bei der Elfe Senfsamen. Die Requisiten sind professionell auf das Nötigste reduziert, symbolisch passend und werden stimmig genutzt. Der herzliche Empfang und die sympathische Bar mit allem, was es in einem „richtigen“ Theater auch gibt, machen diesen Abend zu einem gelungenen Theaterabend. Prädikat: Sehr empfehlenswert!
[Matthias Faust]